Scandi 42: Agile Deckssalon-Blauwasseryacht aus Finnland im Test | YACHT

2023-03-23 16:40:07 By : Ms. Cathy Wang

Eine Deckssalon-Blauwasseryacht, die konsequent leicht gebaut ist? Die erstaunlich agil segelt? Klingt ungewöhnlich? Stimmt. Die Scandi 42 im YACHT-Test

Das menschliche Vorurteil: finnische Deckssalonyacht in Fahrtenausrüstung mit 102 Prozent Genua bei fünf bis sieben Knoten Wind am Testtag – klingt erst mal nicht nach einer Menge Spaß. Bilder einer Nauticat erscheinen vor dem geistigen Auge. Solide und schwer. Senkrecht im Wasser. Stehend. Die Frage nach einem Code Zero beantwortet Eigner und Werftinhaber Östen Karlsson lapidar: „Brauchen wir nicht!“ Na dann ab aufs Wasser. Das Groß geht hoch, die Genua wird ausgerollt. Die ist nagelneu und wurde von Doyle neu angeliefert, das zunächst geschickte Tuch hatte bei der Überführung aus Finnland in die Niederlande einen Schaden erlitten. Carbonmast, Laminatsegel, sehr gute Beschläge. Nanu?

Das würde man eher auf einem für schnelles Segeln ausgelegten Schiff erwarten. Egal. Alle Trimmeinrichtungen auf „bauchig“, Crew nach Lee und mal sehen, was geht. Was direkt auffällt : So bequem sitzt man eigentlich nie auf einem Segelboot. Ein drehbarer Stuhl, die Beine bequem auf dem Süll, der Blick in die Fäden des Vorsegels. Das geht. Es erinnert an die Stühle auf den Katamaranen von Outremer oder an den Relaxsessel vor dem heimischen Kamin, nur mit besserer Aussicht.

Die Großschot ist im Zugriff dank beidseits nach achtern geführten Leinen. Auch die Genua liegt noch im Arbeitsradius des Rudergängers. Der muss dann aber leider seinen Steuerthron verlassen. Da müsste dann das Personal in Gestalt der Mitsegler tätig werden. Vor den Steuersitzen am Ende des Sülls sind Multifunktionsdisplay und Kompass untergebracht. Der Deckssalon zieht nach oben hin ein, sodass ein Vorbeigucken problemlos möglich ist, egal ob der Steuermann nun in Lee oder Luv sitzt. Das ist wirklich ein gelungener Arbeitsplatz. Das Gleiche gilt übrigens für die beiden Fallwinschen, die beidseits des Eingangs zum Steuerhaus in perfekter Arbeitshöhe angebracht sind. Die Leinen laufen dann auch außen am Steuerhaus entlang. Da die Winschen nach innen versetzt stehen, bedeutet das eine scharfe Kurve um einen Organizer, welche die Leinen nehmen müssen.

Schönes Detail dann: Die Klemmen sind genau in der Flucht zwischen Umlenker und Winsch angebracht. Das eliminiert das lästige Schamfilen beim Austritt der Leine aus der Klemme. Weiterer Vorteil: Da jede der Klemmen einzeln steht, können sie auch unabhängig voneinander getauscht werden, wenn sie mal defekt sein sollten. Der Traveller wird etwas seltsam beidseits der Sprayhood gefahren. Er ist damit nicht für den Steuermann zugänglich.

Stichwort Sprayhood: Die ist schmal für besseren Blick nach vorn. Sie bietet so zwar Schutz für den Eingang in den Deckssalon, die Plicht aber bleibt exponiert. Das, so die Werft, sei jedoch nur eine mögliche Lösung. Der Spritzschutz könne auch breiter ausfallen und dann zumindest das vorn gelegene Loungecockpit schützen.

Der wenige Wind vermag das Boot sehr gut in Gang zu bringen. Mit etwas Gefühl in den Fingern – die Rückmeldung am Rad ist erstaunlich gut –, lässt sich die Windkante finden. Und auf einmal macht das sogar Spaß. Trotz leichtestem Wind. Ein gut betuchter 45-Fußer aus der Großserie bleibt an der Kreuz schnell achteraus. Grinsen.

Vor allem bei Eigner Karlsson: „Fahrtentauglich heißt ja nicht langsam“, feixt der Finne und durchschaut das Vorurteil des Testers. Schließlich habe der Werftgründer von Scandiyachts, also sein Vorgänger, zuerst bei Swan und danach bei Baltic gearbeitet. Da sei es doch Ehrensache, dass man vernünftig baue und das Schiff auch schnell ist. Unter vernünftig bauen versteht Karlsson übrigens Vakuuminfusion mit Divinycell-Schaumkern und Vinylesterharzen. Dazu ein zwei Meter tiefer Kiel mit Edelstahlfinne und Bleibombe sowie Möbelbau ebenfalls aus Schaum mit Furnier drauf. Das ist leicht. Und erklärt plötzlich so einiges. Nur bei den strukturellen Teilen versteht Karlsson keinen Spaß: Schotten aus Multiplex, voll anlaminiert, sind selbstverständlich.

Ob das Schiff genug Stabilität hat, kann es am Testtag mangels Wind und Welle nicht beweisen, aus den wenigen Knoten Luftbewegung aber wird konsequent Vortrieb erzeugt. Das überzeugt. Bei sieben Knoten wahrem Wind sind rund 4,2 Seemeilen pro Stunde drin. Hoch am Wind. Das bedeutet in dem Fall Wendewinkel von etwas unter 90 Grad. Sehr schön angesichts der Bedingungen. Wie sehr man sich dennoch zehn oder vielleicht sogar zwölf Knoten Brise herbeiwünscht, dürfte klar sein. Dann sollte die Scandi erwartungsgemäß ordentlich loslaufen, mit noch kleineren Wendewinkeln und deutlich mehr Speed.

Leider gibt es keinen Bugspriet, sodass die Möglichkeiten, größere Vorsegel zu führen, eher begrenzt sind. Eine Genua mit 120 Prozent wäre noch realisierbar. Der Eigner ist nach dem YACHT-Test übrigens in die Karibik gesegelt. Man wolle den neuen Entwurf erst ordentlich testen, da sei solch eine Atlantikrunde doch ideal. Aber auch für die Atlantiküberquerung ist keine andere Garderobe vorgesehen. Groß und 102 Prozent Genua, mehr nicht. Nun gut. Entspannt ist das sicherlich, vielleicht aber nicht auf allen Kursen optimal schnell.

Stichwort andere Kurse: Der Wind ist an dem Testtag sehr unstet. Zum Geschwindigkeitstest auf tieferen Kursen verabschiedet er sich weiter. Machte die Kreuz noch Spaß, geht es nach Lee nur noch quälend langsam. Hier wird sehr deutlich, dass es an Segelfläche fehlt.

Als die Logge unter zwei Knoten sackt, starten wir den Volvo. Der hat nur 40 PS. Das erscheint wenig für 42 Fuß. Doch auch hier hilft der Leichtbau. Das Boot fährt ruhig dahin, der kleinere Schwede hat weniger Durst, und wenn es denn sein muss, schafft er bei Vollgas über acht Knoten. Dabei bleibt es angenehm ruhig, sogar direkt über der Maschine im Deckssalon. Manövrieren lässt sich die Scandi ebenfalls gut.

Am Liegeplatz angekommen, führt der Weg durch eine ausgeklügelte Schiebetürkonstruktion ins Deckshaus. Der Rundumblick ist fantastisch. Wirkten die braunen Scheiben von außen noch ein wenig wie aus der Zeit gefallen, merkt man innen an dem sehr heißen Testtag, was sie leisten: Es ist fühlbar kühler drinnen trotz großer Fensterflächen. Die lassen sich zusätzlich auch noch abschatten. Die große Sitzgruppe an Steuerbord gewährt einen perfekten Ausblick auf das Geschehen um einen herum. Kein Keller-, sondern echtes 360-Grad-Hafenkino. Dank bequemer Sitzmöbel und großem Tisch kann man hier auch trübe Hafentage problemlos zubringen. Was ebenfalls festzustellen ist : Der Steuersitz gegenüber ist der ideale Ort für Wachen, wenn es draußen zu ungemütlich wird. Dank Autopilot lässt sich das Schiff von hier auf Kurs halten. Auch die Maschine kann hier oder von beiden(!) Steuersäulen aus bedient werden. Der Zugriff auf die Segel funktioniert nur im Cockpit.

An Steuerbord liegt die Pantry sehr tief und nahe am Drehpunkt. Dort lässt es sich gut arbeiten, die Spülbecken sind Richtung Schiffsmitte angelegt, die Arbeitsplatte aus Corian hat eine hohe Schlingerleiste. Leider ist die Fläche etwas klein geraten, da sie durch die Klappen von Kühlbox und Tiefkühler unterbrochen wird. Die Kochvorbereitung verlangt mithin einige Planung. Immerhin: Viele gut nutzbare Schränke werden dem Fahrtenanspruch der Scandi mehr als gerecht. Das gilt auch für die Kabine im Vorschiff: Sie bietet reichlich Platz und vor allem Raumempfinden durch die enorme Höhe von 1,90 Metern – eine mit 2,03 mal 1,70 Meter große, wirklich gelungene Koje. Das ist prima. Auch die Nasszelle ist ausreichend. Was Kammer wie Badezimmer fehlt, ist ausreichende Belüftung. Im Bad ist sie nur elektrisch, über dem Bett muss eine einzelne Decksluke reichen.

Achtern des Salons schließt sich eine weitere Kammer an. Sie ist zum Deckshaus hin offen. Dort sind eine Einzel- und eine Doppelkoje untergebracht. Leider ist die Kopffreiheit über Letzterer mit 26 Zentimetern nicht akzeptabel. Das hat auch Karlsson erkannt: „Das Bett ist so hoch, weil wir darunter Stauraum schaffen wollten. Das bringt aber gar nicht so viel. Das kann deutlich niedriger sein, dann hat man auch Platz über dem Kopf.“

Leider fehlt es in der Achterkammer ebenfalls an Belüftung. Ein kleines Fensterchen zum Cockpit ist zu wenig in warmen Revieren. Auch die Nasszelle ist nur elektrisch belüftet. Dort könne aber ebenso ein Luk eingebaut werden, so Karlsson. Gleiches gelte für die Fläche oberhalb der Koje achtern, dann sei allerdings ein Lukendeckel im Cockpit. Der könnte dann mit Kork belegt sein und würde wahrscheinlich wenig stören. Apropos Korkbelag: Der ist auf dem ganzen Schiff verlegt und hält es angenehm ruhig und kühl. Überhaupt gefallen viele Details: Der Möbelbau ist auf sehr hohem Niveau, alle Spaltmaße stimmen, nichts knarzt, die Maserung läuft ruhig durch. Im Cockpit gibt es Schwalbennester, was allein schon gut ist. Dass sie mit einem Korkrand handfreundlich eingefasst sind, ist einfach liebenswert. Innen verwendet man kein Topcoat, sondern PU-Lack. So riecht das Schiff nicht nach Styrol.

Gepaart mit der aufwändigen Bauweise für Rumpf und Deck und den durchweg hochwertigen Beschlägen, ist die Scandi 42 eine spannende Yacht, die durchaus in der Liga einer Nordship 420 oder Contest 42 mitspielt. Optisch ist sie eigenständig und bietet den perfekten Überblick aus dem Salon. Der Preis scheint gerechtfertigt. Mit besserer Belüftung und mehr Höhe über der Koje achtern ein ziemlich perfektes Schiff, sicher angesichts der vorzüglichen Segelleistungen. Typisch finnisch: einfach gut, ohne viel Aufhebens darum zu machen.

* wie die ausgewiesenen Preise definiert sind, finden Sie hier!

Ein Performance-Deckssalon-Cruiser, das gab es so noch nicht. Dank konsequentem Leichtbau gelingt der Spagat zwischen komfortablem Reisen auch bei schlechtem Wetter und Segelspaß selbst bei wenig Wind. Die Qualität ist exquisit und rechtfertigt den Preis

Teil der Delius Klasing Verlag GmbH